„Warum kann Tim nicht richtig sprechen?!“ – Die Frage kommt von Marleen. Sie sitzt am Basteltisch im rustikalen Gartenbauhaus und guckt ihrem Tischnachbarn Tim fest in die Augen.  Elisabeth, eine der Betreuerinnen im Feriencamp, beantwortet ihre Frage. Tim habe von Geburt an eine schwächere Mundmuskulatur, darum falle ihm das Sprechen schwer. Damit hat sich die Sache für Marleen erledigt. Man müsse ja auch gar nicht so viel miteinander mit Worten sprechen, bekundet die Zehnjährige. Im Urlaub im Ausland mit Mama und Papa habe sie doch gelernt, sich mit den anderen Mädchen und Jungs mit Händen und Füßen zu „unterhalten“. Das habe sehr gut funktioniert. So unkompliziert wie Marleen sehen das viele Ferienkinder im Sommercamp in der Freien Martinsschule in Laatzen. Gemeinsam entdecken Kids mit und ohne Beeinträchtigungen die Welt der Freizeit „Ferien inklusiv und Klimaschutz“. Ein Premierenprojekt der Vereine Aktiv DabeiSein und Down Syndrom Hannover.

Inklusion in der Ferienbetreuung ist in Deutschland immer noch eine Seltenheit. Doch in Hannover und Region haben sich engagierte Ehrenamtliche aus den verantwortlichen Vereinen gemeinsam mit der Freien Martinsschule auf den Weg gemacht, um diese eigentliche Selbstverständlichkeit auch zum selbstverständlichen Angebot zu machen. Bundesministerin Ursula von der Leyen ist Schirmherrin des Ferienprojekts, das es ebenfalls ins FerienCard-Programm der Stadt Hannover geschafft hat. „Inklusion hört nicht nach dem Unterricht auf.“ Sie sei davon überzeugt, dass Inklusion gelingen könne, wenn die Bedingungen stimmen würden. Beim Ferienprojekt der hannoverschen Vereine und der Elterngruppe werde auf spielerische Art der Zusammenhalt zwischen den Kindern gestärkt. Die Mädchen und Jungen könnten sich mit all ihren Unterschiedlichkeiten besser kennen und achten lernen. Unterstützt wird das Projekt von der Region und der Stadt Hannover, von der BINGO Umweltstiftung, der Stiftung der Sparda Bank Hannover, der Aktion Mensch, der Edeka und der TUI Stiftung sowie vom Reit- und Therapieverein Hemmingen.

Die Vorgaben und das Ziel einer flächendeckenden inklusiven Bildung sind nicht nur menschenrechtlich gefordert, sondern entsprechen auch den Werten einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft. Kinder mit und ohne Behinderung haben das Recht, gemeinsam ihren Weg zu gehen. Die notwenige Unterstützung muss ihnen gewährt werden. Jetzt. So schreibt es Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention vor. Leider fehlt manchmal es genau an dieser Unterstützung. Der US-amerikanischer Psychologe Julian Rappaport sagte einmal: „Rechte ohne Ressourcen zu besitzen ist ein grausamer Scherz!“.

„Im Bereich der Umweltbildung ist die inklusive Initiative einzigartig und schafft neue Wege, die junge Generation für das Thema Klimaschutz zu sensibilisieren“, sagt Projektleiterin Sabine Buntrock. Die Vorgaben und das Ziel einer flächendeckenden inklusiven Bildung seien nicht nur menschenrechtlich gefordert, sondern entsprächen wie die Umweltbildung den Werten einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft. „Kinder mit und ohne Behinderung haben das Recht, gemeinsam ihren Weg zu gehen.“
Das Projekt soll zur Leuchtturm-Initiative avancieren. Insgesamt 24 Betreuer und Teamer, drei Gruppenleiter sowie mehrere Experten als Dozenten sind bei der „Ferienbetreuung inklusiv und Klimaschutz“ aktiv. Regelschüler und Schüler mit speziellem Förderbedarf treffen sich bei dem Sommerferienprojekt, um gemeinsam die Umwelt zu entdecken und soziales Miteinander zu erfahren.  Die Initiatoren wollen Erfahrungen zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern fördern, um Berührungsängste abzubauen. In gemischten Gruppen werden sie an komplexe Fragestellungen zu Klimaschutzthemen herangeführt. Das erfordert von allen Kindern Reflexionsfähigkeit und vorausschauendes Denken. Da die Schüler mit besonderem Förderbedarf meist in der Kommunikation eingeschränkt sind, müssen sich die Kinder bei der Lösung ihrer Gruppenaufgaben andere Wege suchen, um miteinander agieren zu können. Inklusion und Klimaschutz über ein Ferienprojekt erlebbar machen – das ist die Idee der Organisatoren.

Die Mädchen und Jungen gehen dabei auf eine Entdeckungsreise durch die Welt der spannenden Künste. Greg Perrineau, BIG G, der in den 70ern gigantische Erfolge mit der Band „Eruption“ feierte, trommelt fürs Projekt – gemeinsam mit den Kids, versteht sich. Sie erleben beispielweise Umwelttänze mit der Tanzpädagogin Sabine Krauthäuser und lernen durch Bewegung die Bedeutung des Umweltschutzes kennen – auf unterschiedliche Art und Weise. Umweltbilder auf und neben dem Körper präsentiert Jörg Düsterwald, der zeigt, mit welchen Techniken sich Natur erfassen lässt. Über das Mittel der Kunst kann jedes Kind auf seinem eigenen Niveau das Thema Klimaschutz (er-)leben. Bei Müllsammelaktionen entstehen Kunstwerke mit Abfall – und das Ganze wird von Fotokünstler Andreas Stahl im Bild festgehalten.  Die Kinder lernen, wie sich Abfall vermeiden oder wiederverwerten lässt. Auf spielerische Art und Weise. Und im Körper-Wahrnehmungskurs mit Yusuf Arslan entdecken sie ihren Körper und damit das  Gefühl dafür, auf den selbigen zu achten.

Ideale Bedingungen für die inklusiven Erlebnisferien im Zeichen des Klimaschutzes bietet die Freie Martinsschule mit Mensa, Spiel- und Sportplatz sowie Remise, Gartenbauhaus und Erlebnisgarten. Die Stärke des Projekts ist der Mix aus sportbezogenem Know-how und heilpädagogischer Expertise der Gruppenleiter. Jede Gruppe wird von geschulten Trainern und Ehrenamtlichen begleitet. Inklusion, so die Vision der Projektverantwortlichen, soll selbstverständlich werden. Ein Prinzip, das der Down-Syndrom Verein Hannover und der hannoversche Verein Aktiv DabeiSein selbst längst leben. Auch in den Vereinen agieren Menschen mit und ohne Behinderung zusammen.
Die Organisatoren legen ein großes Augenmerk darauf, dass die Kinder sich wohl fühlen und sich vom schulischen und privaten Stress erholen können. Ferien als Urlaub vom Alltag bedeutet des Weiteren, dass – trotz aller Regeln bei dem Projekt – den Kindern sehr viele Freiräume ermöglicht werden. Partizipation – also die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen – ist eine Kernaufgabe bei den Aktionen. Kinder und Jugendliche mit Behinderung(en) leben im Vergleich zu anderen Kindern nach wie vor sehr häufig in gesellschaftlich geschaffenen Parallelwelten. Eine Begegnung findet in der Regel kaum statt. „Ferien inklusiv und Klimaschutz“ versteht sich als Ort der Begegnung, des Austausches, des Entdeckens von Gemeinsamkeiten – entsprechend der Mottos „Man kann verschieden normal sein.“ – „Es ist normal verschieden zu sein“. Im gemeinschaftlichen Kontext geht es unter anderem darum, Empathie für andere zu entwickeln, die Individualität anderer anzuerkennen, kulturspezifische Normen und Rollenstrukturen zu erkennen, demokratische Konfliktbewältigung einzuüben, die Aufmerksamkeit für die Möglichkeiten gegenseitiger Bereicherung zu sensibilisieren. Für Marleen ist es viel einfacher: „Das Feriencamp ist toll, wir verstehen uns alle prima – und ich habe viele neue Freunde gewonnen.“

Presse:

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https://mensch-city.blog

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